Hildegard von Bingen

Phytotherapie, Paracelsusmedizin, Kneipp-Kuren, Homöopathie, Klostermedizin – in der europäischen Kultur konnten sich zahlreiche Heilverfahren etablieren, die zum Teil aktuell, zum anderen Teil in Vergessenheit geraten sind. 

Die GAMED – Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin – hat sich zur Aufgabe gemacht, die Traditionelle Europäische Medizin (TEM) zu fördern und ihren besonderen Stellenwert als wirkungsvolle, komplementäre Therapie zu betonen. Der TEM-Kongress der GAMED am FH Campus Wien bietet ÄrztInnen, MedizinstudentInnen, TherapeutInnen und interessierten Laien von 13. bis 14. Oktober 2017 fundierte Informationen von nationalen und internationalen ExpertInnen sowie eine Fachausstellung über die vielfältigen traditionellen Heilverfahren aus Europa.

Breite Palette

Traditionelle Europäische Medizin umfasst eine breite Palette von Methoden der Anamnese, Diagnose und Therapie, die in einem Zeitraum von etwa 500 v. Chr. bis zum Anbruch der Moderne im 19. Jahrhundert breite Anwendung fanden. „Zunehmend wird erkannt, dass diese Heiltraditionen im Sinne heutiger Integrativmedizin eine wertvolle Ergänzung der modernen naturwissenschaftlichen Medizin darstellen können“, betont PD Dr. habil. Karl-Heinz Steinmetz, Leiter des Instituts für Traditionelle Europäische Medizin in Wien. Ein besonderes Augenmerk legt die TEM auf eine genaue Diagnostik. Dabei wird mit großer Sensibilität, meist auch mittels körperlicher Berührung, auf den Patienten und seinen Gesundheitszustand eingegangen – beispielsweise anhand von Pulsdiagnose, Körpertonus und Körpertemperatur, Zustand von Haut und Haaren etc.

Heilkraft des Wassers

„Eine große Rolle in der Geschichte Europas spielte die Kur- und Bädertherapie“, berichtet Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl, Präsident der GAMED. Die positiven Effekte von Wasser begründeten in vielen Ländern eine blühende Balneotherapie. Heutzutage kommt Heilwasser in seiner Individualität und Besonderheit speziell im Rahmen von Kurmedizin – auch im Sinne der Gesundheitsförderung durch die Sozialversicherung unterstützt – einer breiten Bevölkerung zugute. „Es handelt sich dabei um eine sehr zeitgemäße komplexe Ganzheitsmedizin mit langer Tradition, die an die modernen Gegebenheiten adaptiert und nach aktuellen Erkenntnisse weiterentwickelt wurde“, so Prof. Marktl.

Pflanzliche Unterstützung bei Frauenleiden

Die Anwendung vieler Heilpflanzen bei Frauenleiden, wie z.B. Migräne, prämenstruelles Syndrom oder Wechselbeschwerden, beruht auf uralter Erfahrung. Durch Beobachtung und Empirie entstand über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende ein bewährter Wissensschatz über Pflanzen und ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Die traditionellen Kenntnisse über Wirksamkeit und Nutzen konnten insbesondere in den letzten Jahren durch wissenschaftliche Arbeiten für eine Reihe traditioneller Heilpflanzen eindrucksvoll bestätigt werden. Daher haben pflanzliche Arzneimittel heute einen hohen Stellenwert in der gynäkologischen Praxis – sie sind für viele Patientinnen, insbesondere bei hormonell bedingten Befindlichkeitsstörungen erste Wahl. „Besonders wirksam sind beispielsweise Mönchspfeffer beim prämenstruellen Syndrom, Isoflavone sind wissenschaftlich anerkannt und das Mittel der ersten Wahl bei Wechselbeschwerden, Mutterkraut bei Migräne, Passionsblume bei nervösen Störungen und Johanniskraut bei depressiven Verstimmungen im Zusammenhang mit hormonell bedingten Beschwerden. Damiana wird bei sexueller Lustlosigkeit erfolgreich eingesetzt und Resveratrol als Antiagingmittel“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Markus Metka, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Präsident der Antiaging-und der Menopause-Gesellschaft. Phytopharmaka für die Psyche Auch in der Behandlung psychischer Erkrankungen hat der Einsatz traditioneller Heilpflanzen einen maßgeblichen Stellenwert. Die modernen Erkenntnisse und Studien lieferten häufig eine Bestätigung des traditionellen Wissens. „Insbesondere in den großen Bereichen der depressiven Befindlichkeitsstörungen, der Angstzustände und der Schlafstörungen, die in der heutigen Zeit weit verbreitet sind, können durch pflanzliche Arzneien exzellente Erfolge erzielt werden“, erläutert Univ.-Doz. Dr. Peter Hofmann, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Graz. Hier eignen sich Phytopharmaka insbesondere als niederschwelliger Einstieg mit guter Wirksamkeit und Verträglichkeit. Bewährte Beispiele sind Baldrian, Passionsblume, Melisse gegen Schlafstörungen sowie Passionsblume auch gegen Angstzustände. „Das bei depressiven Befindlichkeitsstörungen am besten untersuchte pflanzliche Arzneimittel ist Johanniskraut, für dessen gute Wirksamkeit und Verträglichkeit hohe Evidenz vorliegt“, so der Psychiater.

Erste Angebote

Phytotherapie wird schon lange angeboten und genießt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, was die Therapietreue erhöht und damit den Heilungserfolg verbessert. Das große Vertrauen in moderne aus Pflanzen hergestellte Medikamente ist absolut gerechtfertigt, gelten doch die gleichen strengen Qualitätskriterien bezüglich Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit wie für andere Arzneimittel auch.Gerade in jüngster Zeit steigt auch das Interesse an TEM im weiteren Sinne sowohl bei Ärzten sowie Therapeuten unterschiedlicher Profession als auch in der Bevölkerung. Allerdings wird TEM in Europa noch relativ wenig praktiziert. Das liegt v.a. daran, dass die Ausbildung in TEM hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt. In Österreich gibt es bereits TEM-Angebote in einigen Institutionen. Beispielsweise wurde im Kurhaus der oberösterreichischen Gemeinde Bad Kreuzen vor sieben Jahren mit der Etablierung des ersten Zentrums für Traditionelle Europäische Medizin begonnen.

Zukunftsperspektiven

Grundsätzlich ist zu erwarten, dass TEM insbesondere in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen wird. „Zu wünschen wäre die Etablierung eines universitären Hochschullehrgangs. Der Weg dahin wird allerdings lange und dornig sein“, fürchtet Dr. Steinmetz. Auf dem TEM-Kongress werden auf Expertenebene spannende interdisziplinäre Diskussionen über die nächsten Schritte zur Etablierung dieser Medizinschule stattfinden.

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